Experiments in Study

Die AI Anarchies Herbstakademie

Kuratiert von Maya Indira Ganesh und Nora N. Khan

Die transdisziplinäre Herbstakademie AI Anarchies bringt globale Gemeinschaften von Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Kulturproduzent*innen sowie Kulturhacker*innen, Technolog*innen und Aktivist*innen zusammen. Im Mittelpunkt steht die Ermöglichung neuer Formen des miteinander Denkens und die Erschließung alternativer Wissensnetzwerke im Umgang mit Künstlicher Intelligenz und Ethik. Teilnehmende werden in Vorträgen, Performances, Screenings und partizipativen Workshops aufgefordert, zur kollektiven Diskussion über KI-Technologien und die sozialen, kulturellen und politischen Realitäten beizutragen, aus denen sie hervorgehen und die sie formen.

Die Herbstakademie findet vom 13. bis 20. Oktober 2022 in der Akademie der Künste, Berlin, Hanseatenweg 10, statt und wird von Maya Indira Ganesh und Nora N. Khan kuratiert. Sie ist Teil des AI Anarchies Projekts der JUNGEN AKADEMIE der Akademie der Künste, Berlin, das zudem ein Residenzprogramm für sechs Künstler*innen, die über einen Open Call ausgewählt wurden, und eine abschließende Ausstellung im Juni 2023 in der Akademie der Künste umfasst. AI Anarchies wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Kuratorischer Kontext

In ihrem Buch The Classroom is Burning, Let’s Dream about a School of Improper Education (2020) [Das Klassenzimmer brennt, lasst uns von einer Schule der unangepassten Bildung träumen] beschreibt das Kunci Study Forum & Collective aus Yogyakarta, Indonesien, ihr Verständnis von einem unangepassten Lernen. Sie beziehen sich dabei auf Vorstellungen gemeinschaftlichen Lernens, wie sie von Fred Moten und Stefano Harney geprägt sind. Spekulative Forschungsmethoden und das kollektive Erarbeiten von Lerninhalten bilden hier die Grundlage für sozialen Wandel. Die AI Anarchies Herbstakademie ist inspiriert von dieser Praxis und überträgt die unangepassten Lernmethoden in den Kontext Künstliche Intelligenz (KI).

Der Themenkomplex KI und Ethik fungiert als eine Art Katalysator für diesen Prozess. Trotz aller großen Hoffnungen über die Möglichkeiten von KI, bleiben die menschlichen Angelegenheiten, die durch die Technologie tatsächlich ersetzt werden, recht überschaubar. Dies zeigt sich darin, wie leicht es ist ein fahrerloses Auto zu hacken oder wie Hassrede und Dog Whistling von Natürlichen Sprachverarbeitungsprogrammen schlichtweg unerkannt bleiben. Ethische Fragestellungen im Zusammenhang mit KI lösen ähnliches Unbehagen aus, wie das halbherzige Versprechen von Big Tech, sich selbst zu regulieren, wenngleich sie den Kurs in eine von ihr entworfene Zukunft beibehalten. Die Schäden, die durch KI verursacht werden, müssen behoben werden – ein Mantra, das überall laut wird.  Die Dienstleistung der Fehlerbehebung wird jedoch – wie nicht anders zu erwarten – von den Menschen übernommen, die am ehesten davon betroffen sind. Währenddessen werden maschinelle Lernsysteme weiter optimiert. Wir werden laufend dazu angehalten eine Auswahl zu treffen und zu konsumieren, was uns nachdrücklich empfohlen wird. Unsere intellektuelle und kulturelle Arbeit wird von den Algorithmen mit Leichtigkeit extrahiert. Wir leben in einem Spiegelkabinett, das unsere eigenen Vorlieben ausschlachtet und sich an ihnen ergötzt.

Ethik in der KI-Entwicklung und -Forschung bezieht sich in diesem Kontext vor allem auf einen korrigierenden Kurs für menschliches Handeln, der eng gefasst und stets auf die Erfüllung von rechnerischen Aufgaben ausgerichtet ist. Wir werden auf eine Beziehung zu kleinen, technisierten Maschinenwelten reduziert – entrückt von dem Durcheinander unserer gelebten Realitäten und unseren moralischen Einstellungen. Aus der Kunst und Philosophie wissen wir jedoch, dass Ethik immer relational zu denken ist und dass diese Beziehungen und Zusammenhänge sich politisch in unterschiedlichen Formen manifestieren. Keine Person, Disziplin oder Gemeinschaft allein kann „die“ eine allgemeingültige „Ethik“ behaupten – zudem ist Ethik immer an eine bestimmte Situation und Zeit sowie  einen bestimmten Ort und Körper gebunden. Ethische Fragestellungen können nicht ausschließlich durch das Individuum verhandelt werden. Ethik umfasst vielmehr die Frage der Beziehung zu Anderen und des Aushandelns eben jener Verbindung, die über die Bedürfnisse unseres Selbst hinausgeht.

Die Welt befindet sich in einem anhaltenden Ausnahmezustand und dennoch florieren die Widerstandsbewegungen gegen vergangene, gegenwärtige und zukünftige Machtverhältnisse. Auch wenn sich globale, planetarische Krisen durch staatliche, industrielle und algorithmisch gesteuerte Hegemonien weiter verstärken, gibt es immer noch Raum für Freude und intellektuelles Vergnügen. Unser kollektives und persönliches Selbst wird durch digitale Logiken konstituiert und durchdrungen, die auf einer langen Geschichte der Gewalt beruhen. Wir versuchen immer noch zu verstehen, was es bedeuten könnte, im Einklang mit Technologie zu leben. Wir machen immer noch Kunst, schreiben und denken in einer Welt, die bestimmt wird von Technologie-getriebenem Design.

Die AI Anarchies Herbstakademie der JUNGEN AKADEMIE soll Raum bieten, gemeinsam Ideen und Methoden zu entwickeln, um zu untersuchen und sichtbar zu machen, was sich den gnadenlosen Mechanismen der Berechenbarkeit entzieht. Was entschlüpft ihnen immer noch? Wie kann eine anarchische KI – und damit die grundlegende Bejahung des anarchischen Potenzials von KI – die Gestaltung zukünftiger algorithmisch gesteuerter Realitäten ermöglichen? Anarchien in diesem Kontext sind dabei nicht zu verwechseln mit der einfachen Ablehnung dessen, was wir kennen; es geht nicht um eine grundsätzliche Ablehnung von KI oder von Berechnungslogiken. Vielmehr geht es um Werte und Prinzipien, die das Gewohnte undenkbar machen. KI-Anarchien simulieren all die Arten und Weisen, in denen unsere technologischen, geopolitischen und marktwirtschaftlichen Gegebenheiten unvereinbar mit kollektivem Wohlergehen sind. Anarchien kehren konventionelle Bestrebungen und Moralvorstellungen in ihr Gegenteil um. Sie symbolisieren das Ende etablierter Wissensstrukturen. KI-Anarchien mögen Rhythmen und Gesten in sich tragen, die den Algorithmus und seine Logiken nicht mehr in den Vordergrund stellen. Sie provozieren stattdessen Überlagerungen von Diskursen der Verweigerung und Reparationsforderungen, von No-Futurismus und Neo-Luddismus, Dekolonialismus und Feminismus, Degrowth und Fugitivität sowie abolitionistische und anti-caste politics.

Wir verstehen KI als philosophische und kreative Provokation. Diese Haltung ermöglicht es uns, eine Bestandsaufnahme zu machen und unsere Beziehungen zueinander sowie zu unserem vergangenen und zukünftigen Selbst neu zu gestalten. In diesem Sinne geht es uns darum, KI als Alternative zu positivistischen Zukunftsvisionen zu denken. Wir entziehen uns bewusst der Wiederholung des lösungsorientierten Status quo und bestehen stattdessen darauf, unsere eigenen Positionen zu dekonstruieren. Wir nehmen den Anspruch auf Expertise nicht allzu ernst. Wir sind uns bewusst, dass alles Wertvolle seinen Wert über Nacht verlieren kann. KI mag zum Scheitern verurteilt sein. Der KI-Frühling hat sich längst in einen KI-Winter verwandelt. Die Vorstellung eines solchen Scheiterns im Forschungskontext ist anarchisch. Wir wollen uns nicht mehr nur damit beschäftigen, wie ein Leben mit KI aussehen kann, sondern uns genau diesen anarchischen, ungehorsamen und andersartigen KIs zuwenden, die uns noch das Träumen erlauben.

Format

Kritische Auseinandersetzung und die Förderung neuer Allianzen zwischen Theorie und Praxis sind das Ziel der Herbstakademie. Auf den sozialen und politischen Diskursen um KI aufbauend, fokussiert sich die methodische Ausrichtung auf partizipatorische und experimentelle Lern- und Arbeitsweisen, die ihre Grundlagen im Anarchischen verorten.

Die Herbstakademie greift die gegenwärtige KI-Ethik als Katalysator auf, um neue Formen des miteinander (Ver)lernens und Denkens zu ermöglichen und so alternative Wissensnetzwerke herzustellen. Teilnehmende werden in Vorträgen, Performances, Screenings und partizipativen Workshops aufgefordert, zur kollektiven Diskussion über KI-Technologien und die sozialen, kulturellen und politischen Realitäten beizutragen, aus denen sie hervorgehen und die sie formen.

Die Herbstakademie gliedert sich in drei Tagesabschnitte: provokative Debatten am Vormittag, in denen führende Denker*innen öffentlich neue Positionen entwickeln; Workshops am Nachmittag für die kollektive Entwicklung von Thesen für eine gemeinschaftliche Forschungspraxis; gefolgt von abendlichen Performances, Vorträgen und Screenings, die Raum geben für eine kreative Auseinandersetzung mit den diskutierten Themenfeldern. Die Herbstakademie ist eine Präsenzveranstaltung in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 in Berlin, Deutschland.

Das vollständige Programm ist hier zu sehen: https://aianarchies.net/.

Themen und Vortragende

Während der Herbstakademie fordert das leitende Thema des Tages dazu auf, zur kollektiven Diskussion über KI-Technologien und die sozialen, kulturellen und politischen Realitäten beizutragen, aus denen sie hervorgehen und die sie formen. Die Herbstakademie soll Raum bieten sich völlig von der Aufgabe zu lösen industrielle KI zu verbessern und gemeinsam alternative Paradigmen zu entwickeln.

 

Die Themen der Tage beinhalten:

– Technology, ethics, and politics

– Anti-Computing: Models & Thought Experiments

– Imagining Anarchic AIs

– Bodys as Systems; The Body in Systems

– The state of things, Europe, the world and technology

 

Unter anderem werden die folgenden Denker*innen teilnehmen und provokative Debatten am Vormittag leiten: Ramon Amaro, Heba Y. Amin, Laura Forlano, Louise Hickman, Nelly Yaa Pinkrah, Tiara Roxanne, Jackie Wang. Workshops am Nachmittag werden von The Mycological Twist, Tactical Tech Collective, Weise7 studio und weiteren durchgeführt. Den Abschluss bilden abendliche Performances, Vorträge und Screenings.

Bewerbung

Die AI Anarchies Herbstakademie möchte internationale Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Kulturproduzent*innen sowie Kulturhacker*innen, Technolog*innen und Aktivist*innen in eine Arbeitsgruppe einladen, die thematisch zu KI oder mit KI-Technologien im weitesten Sinne arbeiten. Sie ist offen für aufstrebende Künstler*innen sowie für alle, die sich in ihrer Praxis als neugierig verstehen und über unterschiedliche Kompetenzen in den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Aktivismus, Pädagogik und kulturelle Praxis verfügen.

Wir sind auf der Suche nach Bewerber*innen, die sich sieben Tage lang intensiv mit den Themen und Diskussionen der Herbstakademie auseinandersetzen und währenddessen sowie danach ein aktiver Teil der Gemeinschaft sein werden. Ausgewählte Bewerber*innen erhalten freien Zugang zu allen Veranstaltungen der Akademie sowie Verpflegung.

Bewerbungsfrist: 11. Juli 2022

Benachrichtigung über die Zulassung: 25. Juli 2022

Unterlagen:

Bitte senden Sie ein PDF (max. 5MB / max. 2 Seiten) mit Lebenslauf, Links und einem Motivationsschreiben (max. 3.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) an aianarchies@adk.de.

Ab September dieses Jahres werden zudem einzelne Workshops und Veranstaltungen der Herbstakademie geöffnet für ein erweitertes Publikum.

Partner & Unterstützer

Das Programm AI Anarchies wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Weise 7 studio

Studio für Elektroakustische Musik, AdK, Berlin

ZK/U, Zentrum für Kunst und Urbanistik, Berlin

Kurator*innen und Team:

Kuratorinnen der AI Anarchies Herbstakademie:
Maya Indira Ganesh, Leverhulme Centre for the Future of Intelligence, Co-Leiterin des Kurses „KI, Ethik, und Gesellschaft“ an der University of Cambridge

Nora N. Khan, Kuratorin und Kritikerin im Bereich der digitalen visuellen Kultur und Philosophie der neuen Technologien

Programmleitung & Kuration AI Anarchies:
Clara Herrmann
(Leiterin JUNGE AKADEMIE)

Projektkoordinatorin:
Nataša Vukajlović

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Beirat AI Anarchies:

Nora O Murchú, Künstlerische Leiterin des Festivals transmediale, Berlin

Nishant Shah, Direktor für Forschung und Öffentlichkeitsarbeit und Professor für Ästhetik und Kultur der Technologien an der ArtEZ University of the Arts, Niederlande

Jennifer Walshe, Professorin für Komposition an der Universität von Oxford, Großbritannien, Komponistin und Musikerin, Mitglied der Sektion Musik der Akademie der Künste, Berlin

Siegfried Zielinski, Professor für Medientheorie, Archäologie und Variantologie der Medien an der Universität der Künste Berlin, Mitglied der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste, Berlin