Im Gespräch

Was verraten uns die Sterne über die Zukunft des Kinos?

Johann Lurf & Alexander Horwath

Alexander Horwath: Du hast in den letzten zwei Jahren Deinen ersten Langfilm ★ [sprich: „Sternfilm“] um die halbe Welt begleitet, von der Viennale über Sundance bis hin zu Filmfestivals in Korea und Japan – wo Du Dich jetzt gerade aufhältst, während wir korrespondieren. Allerdings erweitert sich der Film ständig; als Sammlung von Kinobildern aus 120 Jahren Filmgeschichte, die das Weltall (und nur das) zeigen, ist er dezidiert unabgeschlossen und „mutiert“ dementsprechend. Auch in anderen künstlerischen Projekten und in Deiner Rolle als Stipendiat der Jungen Akademie 2019 bist Du dem Weltall seither treu geblieben. Kannst Du diesen intensiven thematischen Fokus kurz erklären beziehungsweise herleiten?

Johann Lurf: Mein Interesse am Weltall hat mit den Grenzen des Vorstellbaren und mit den Grenzen des Darstellbaren zu tun. Astronomische Vorgänge sind Grundlage unserer Realität, wirken aber aufgrund ihrer Distanz sehr abstrakt – unsere Sinne sind nur begrenzt für die Wahrnehmung dieser Vorgänge geeignet. Wir bedienen uns unterschiedlicher Instrumente und Medien, um die Distanz zu überwinden und diese Dimensionen anschaulich zu machen. Diese Medien ermöglichen einen tieferen Einblick, sind aber immer an unseren Wahrnehmungsapparat angepasst und haben eigene Charakteristika, die diesen Einblick spezifisch gestalten.

Johann Lurf ★ (2017) Trailer

JL: Ich wurde eingeladen, das National Astronomical Observatory of Japan zu besuchen, wo eine stereoskopische 3-D-Kuppelprojektion das Weltall nach aktuellem wissenschaftlichen Stand simuliert, was eine beeindruckende Erfahrung war. Ein wesentlicher Teil solcher Erfahrungen ist die dafür verwendete Technik. Jede gestalterische Entscheidung ist auch eine Setzung, das darf nicht vergessen werden. Hätte ein anderes Team diese Simulation durchgeführt, würde sie anders aussehen. Wir füllen sozusagen den Raum zu den Sternen mit unseren Vorstellungen und Wünschen, weil wir nicht anders können. Deshalb ist es möglich, von so abstrakten Darstellungen wie dem Sternenhimmel in der Filmgeschichte Rückschlüsse auf die Produktionsbedingungen, den historischen Zusammenhang und die Menschen hinter der Produktion zu ziehen. Das finde ich unheimlich spannend, vor allem wenn mehrere Darstellungen derselben Sache nebeneinandergestellt werden und Methoden und Trends zu erkennen sind.

Three American Beauties (1906)
Three American Beauties (1906)
A Matter of Life and Death (1946)
A Matter of Life and Death (1946)
Frau im Mond (1928)
Frau im Mond (1928)

AH: Es scheint so, dass Deine eigene Reaktion darauf – also auf die Geschichtlichkeit und Relativität der bildgebenden Verfahren und der von ihnen gestalteten Weltwahrnehmung – darin besteht, sie nicht nur zu konstatieren und künstlerisch festzuhalten, sondern sie in den Modus Deiner eigenen Arbeit zu integrieren. Kann man sagen, dass ★ kein reines Filmwerk, sondern ein ganzer Prozess ist, an dem Du auch in anderen Medien und Darstellungs- beziehungsweise Ausstellungsformen weiterarbeitest? Wohin geht denn die Reise derzeit, baust Du demnächst ein avantgardistisches Observatorium auf einer Pazifikinsel?

JL: Ich versuche momentan, bei kompakteren Formen zu bleiben! In der langen Recherche zum Film habe ich begonnen, mich auch für andere Aspekte zu interessieren, die mit den Sternenhimmeln der Filmgeschichte in Zusammenhang stehen. Der ★ Film selbst hat eine spezifische Herangehensweise an das Thema, andere Methoden ermöglichen weitere Rückschlüsse und Erfahrungen. So habe ich eine Serie aus Collagen konzipiert, an der ich seit 2017 gemeinsam mit Laura Wagner arbeite. Die nenne ich Earth Series. Bei diesen Arbeiten geht es um den Gegenschuss zum Sternenhimmel: die filmische Perspektive aus dem All auf unsere Erde. Von dieser lässt sich einiges ableiten, zum Beispiel die Region, aus der der Film stammt, je nachdem welche Seite der Erde gezeigt wird – oder ob sich eine größere Katastrophe anbahnt, wie etwa ein Wirbelsturm. Für einen Vergleich dieser Film Stills ist die filmische Form nicht so geeignet wie eine direkte Gegenüberstellung von Bildern in der Form von Collagen, wo sich mehrere Bilder nebeneinander platzieren lassen und auch eine zeitlich ungebundene Betrachtung möglich ist. Manche Einstellungen sind nur für einen Sekundenbruchteil in einem Film zu sehen. Löst man sie aus ihrem zeitlichen Kontext, ergeben sich erweiterte Möglichkeiten zur Betrachtung und zum Vergleich. Im Moment arbeite ich an einem Buch zum ★ Film, in welchem ich Methoden des Bildervergleichs anwende und die Bildkategorien genauer untersuche, die in Spielfilmen das Bild des Sternenhimmels begleiten.

Johann Lurf & Laura Wagner © 2017 Earth Series  – Waxing Crescent (Detail)
Johann Lurf & Laura Wagner © 2017 Earth Series  – Waxing Crescent (Detail)
Johann Lurf & Laura Wagner © 2017 Earth Series  – Pearls I (Detail)
Johann Lurf & Laura Wagner © 2017 Earth Series  – Pearls I (Detail)

AH: Bleiben wir kurz beim Vergleichen – und bei der Arbeit mit unterschiedlichen Medien. Du hast großes Interesse an 3-D-Techniken und am 70-mm-Filmformat. Du hast an dem sehr schönen internationalen Vertical Cinema-Projekt teilgenommen, bei dem neue Werke für eine vertikale Leinwand und Projektion entstanden sind. Du setzt Dich dafür ein, dass die analoge Filmtechnik erhalten bleibt: von der Aufnahme über die Kopierung bis zur Präsentation. Zudem blickst du auf eine lange Laufbahn als begehrter Projektionist zurück, das heißt als AnalogfilmVorführer, der mit den heikelsten Formaten umzugehen versteht. In Deinem Oeuvre sind das analoge und das digitale Bewegtbild gleichermaßen vertreten. Wie stellt sich das Verhältnis der beiden Medien derzeit für Dich dar – nach etwa zehn Jahren, in denen der Mainstream, der Kino- und Festivalalltag und der hegemoniale Filmdiskurs eine mehr oder weniger vollständige Ersetzung des einen Mediums durch das andere herbeigewünscht haben?

JL: Mein Interesse gilt vielen Formen und Eigenschaften des Mediums Film, und ich sehe viele Möglichkeiten, mit fotochemischem Film zu arbeiten und dessen Sprache und Darstellungsmöglichkeiten zu erweitern. Ich denke, dass heute sogar sehr gute Bedingungen herrschen, um mit Film zu drehen. Das Material und die Kameras sind gut verfügbar, und es ist möglich, in bester Qualität zu scannen. Im Sommer 2019 war ich Teil der Jury beim New Horizons Festival in Wrocław: sieben von zehn Filmen, die im Wettbewerb liefen,  sind auf analogem Film gedreht worden– das hat mich überrascht! Allerdings wurden alle Filme digital gezeigt. Ich habe dann mit einem der Filmemacher gesprochen, der noch nicht einmal annähernd daran gedacht hatte, eine Filmkopie von seinem Film zu ziehen. Es gibt also ein Bewusstsein für das Medium als Bildträger in der Aufnahme, das hört dann aber rasch bei der Projektion auf. Das ist schade, denn Filmprojektion bedeutet 24 unterschiedliche Bildträger pro Sekunde, bei Video sehen wir immer dasselbe Raster eines Chips und ein entsprechend flacheres, steriles Bild.

Ich habe durchaus Interesse an digitalen Neuerungen wie zum Beispiel der Laserprojektion, bei der dunkle Bereiche wesentlich besser dargestellt werden können als in konventioneller Videoprojektion. Mein Herz schlägt aber für das analoge Bild, die Tiefe darin, das Organische, Unverständliche, ja Magische in der Projektion. In der Zukunft will ich weiter mit dem Medium Film arbeiten, es ist unglaublich vielseitig – vertikal, horizontal, egal.

Clash of Titans (2010)
Clash of Titans (2010)
Battle Beyond the Stars (1980)
Battle Beyond the Stars (1980)

AH: Denkst Du, dass diese Zukunft – an die ich auch glaube – eher von den Traditionen und dem geschichtlichen Bewusstsein der Avantgarde-Kinokultur oder von jenen der Bildenden Kunst geprägt sein wird? Bis vor Kurzem hätte ich vermutet, dass Letzteres der Fall sein wird, aber der Kunstbetrieb und Kunstmarkt sind – trotz der vielen jungen Künstler*innen, die dezidiert mit analogem Film arbeiten wollen – dafür vielleicht doch zu konformistisch, zumindest in ihren „tonangebenden“ Zonen. Und da ich gerade aus dem Baskenland komme, von einem Seminar, bei dem junge spanische Filmkurator*innen einen erstaunlichen kinokulturellen Enthusiasmus und sehr viel diesbezügliches Wissen an den Tag gelegt haben, will ich es mir anders herum vorstellen. Diese Frage muss ja auch eine gewisse Rolle für Deine Selbst-Platzierung als Künstler spielen …

JL: Der Versuch in die Zukunft zu sehen, ist natürlich immer ein großes Wagnis. Ich denke aber, dass die Zukunft des Mediums Film und des Orts namens Kino mehrere Strategien und Standbeine braucht. Avantgarde-Kinokultur und die Bildende Kunst sind so wie Archive und Festivals Wissensträger und Wissensvermittler, die sicherstellen, dass nicht jede Generation wieder von Neuem anfangen muss. Die Filmindustrie hat ein wesentlich kürzeres Gedächtnis, und so gesehen hat das aller kürzeste Gedächtnis die Werbeindustrie. Trotzdem spielen diese kommerziellen Filmstrukturen eine wichtige Rolle, da beide bis heute immer wieder auf Film drehen, die Produktion von Filmmaterial am Laufen halten und die Labore beschäftigen. So bleibt auch innerhalb der Labore das komplexe fotochemische Wissen erhalten; ein wesentlicher Faktor, der leider nicht mehr gang und gäbe ist.

Der leider kürzlich verstorbene Gustav Deutsch schreibt am Ende von einem seiner schönen Trailer „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“, was ich unter anderem auch so verstehe, dass die Begeisterung und das Wissen geteilt werden müssen. Das Interesse in jüngeren Generationen zu wecken, ist das oberste Ziel.¹

Ich finde eine Selbst-Platzierung meiner Position gar nicht notwendig, da durch meine Faszination für Film, Kunst und Kino eine Nähe zu mehreren Bereichen schon von selbst gegeben ist, die auch die Nähe zu anderen Bereichen nicht ausschließt – und auch immer etwas fluide bleiben soll.

 

 

¹Siehe Aleander Horwath, Kino(s) der Geschichte: Dunkle Kammern, sprechende Objekte, mehr als Filme. Gustav Deutsch als Museumsmacher, hier veröffentlicht am 3.11.2019.

Conquest of Space (1955)
Conquest of Space (1955)
Independence Day Resurgence (2016)
Independence Day Resurgence (2016)
Mad Max Fury Road (2015)
Mad Max Fury Road (2015)

*1982 in Wien, lebt in Wien

Johann Lurf studierte Bildende Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Er ist als experimenteller Filmemacher bekannt, der nicht einfach einem bestimmten Stil oder einer besonderen Kategorie zuzuordnen ist. Seine Arbeiten untersuchen unterschiedliche Formen des Sehens und der Bewegung, insbesondere seine formaleren Filme zeichnen sich stets durch prägnante Handlungsstränge aus. Zugleich untersuchen sie auf subtile Weise unsere Gesellschaft mit ihren Kodizes und Normen sowie unsere Wahrnehmung oder thematisieren die Geschichte und Entwicklung des Kinos selbst. Johann Lurf hat mit Kurzfilmen sowie einen Film in Spielfilmlänge, mit analogen und digitalen Formaten, gefundenen Filmmaterialien sowie eigenen Aufnahmen experimentiert und eine Vielzahl unterschiedlicher Filme realisiert, von denen eine ganze Reihe auf Filmfestivals und in Kulturinstitutionen zu sehen waren, wie unter anderem dem Sundance Film Festival, den Anthology Film Archives, dem Austrian Cultural Forum New York und im Los Angeles County Museum of Art.

Berlin-Stipendium

Mehr über Johann Lurf

*1964 in Wien

Seit 2013 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin, Sektion Film- und Medienkunst.

Alexander Horwath ist Autor und Kurator; 1985–1991 Filmkritiker und Redakteur. 1992–1997 Direktor der Viennale – Vienna International Film Festival. 1997–2001 Texte für u. a. Die ZeitTrafic, Süddeutsche ZeitungMeteor, Film Comment, Konsulent für Filmfestivals, Kurator von Filmreihen und Ausstellungen. 2002–2017 Direktor des Österreichischen Filmmuseums. 2007 Kurator des Filmprogramms der Documenta 12. Buchpublikationen als (Co-)Autor / Herausgeber u. a. Der Siebente Kontinent. Michael Haneke und seine Filme (1991), The Last Great American Picture Show. New Hollywood 1967–1976 (1995; erweiterte engl. Ausgabe 2003), Avantgardefilm. Österreich. 1950 bis heute (1995), Peter Tscherkassky (2005), Josef von Sternberg. The Case of Lena Smith (2007), Film Curatorship – Archives, Museums, and the Digital Marketplace (2008), Das sichtbare Kino (2014), Ruth Beckermann (2016). Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (2018). Seit 2018 Lehre Filmgeschichte an der Filmakademie Wien; Universitätsrat an der Akademie der bildenden Künste Wien; Mitglied des Artistic Committee, Il Cinema Ritrovato, Bologna; Texte zur Utopie Film (perlentaucher.de) und zu Guy Debord (cargo-film.de).