Space

Franziska Pflaum

Die Kunst der Situation: Gespräche und Charakterstudien zum Fotofilm Geschichten eines Jungen, einer Frau und eines Soldaten – ein Einblick in den Prozess des Filmemachens.

Intro

Die Regisseurin Franziska Pflaum realisierte im Rahmen ihres Stipendiums ihren ersten Fotofilm: Statt 25 Bildern pro Sekunde, die die Illusion einer Bewegung erzeugen, sehen wir einzelne Fotografien – mal länger, mal kürzer, verändern sie stetig ihren Rhythmus.

In den Räumen der Akademie der Künste im Hansaviertel beginnen drei Darsteller*innen ihre Geschichten zu erzählen. Wir reisen in der Zeit zurück und tauchen in ihre Erinnerungen ein. Lose Szenen fügen sich zu einer Erzählung, die die Schicksale der Protagonist*innen immer dichter miteinander verweben: Als Rezas Eltern bei einer Bombenexplosion ums Leben kommen, beschließt er von Afghanistan nach Deutschland zu gehen. Der deutsche Soldat Matthias kommt nach seinem Auslandseinsatz in Afghanistan in seiner Heimat nicht mehr zurecht, sein eigenes Leben ist ihm fremd geworden. Stefanie ist Hausmeisterin an der Akademie der Künste; warum ihr Sohn Soldat geworden ist, kann sie nicht nachvollziehen – vergeblich versucht sie, ihm nahe zu sein.

Trailer

Geschichten eines Jungen, einer Frau und eines Soldaten, 2020, Fotofilm, Trailer

Auszug Drehbuch

INT. STEFANIES WOHNUNG.  KÜCHE – TAG

Stefanie sitzt alleine am Küchentisch. Matthias ist plötzlich fort. Vor ihr stehen zwei Tassen Kaffee. Sie blickt traurig ins Leere, dort wo Matthias saß.

 

STEFANIE

(OFF)

Manchmal mach ich sogar Kaffee für

uns beide. Ich versuche mich zu

erinnern, aber sein Gesicht. Sein

Gesicht kann ich nicht scharf

stellen. Es bleibt immer ein

bisschen verschwommen.

 

INT. STEFANIES WOHNUNG. FLUR – NACHT

Stefanie trägt über einen dunklen Morgenmantel, mit großen Blumen darauf. Wir sehen sie von hinten. Sie geht durch die dunkle Wohnung.

 

STEFANIE

(OFF)

Dieses Afghanistan hat ihn so

verändert. Es gab 2,3 Momente

nochmal. Diese, wie mit dieser …

Als er mal überraschend vor der Tür

stand. Da hatte er so ein Hemd an,

dass ich gar nicht kannte und ich

dachte mir noch Mensch, guck mal,

da hat er sich was neues zum

Anziehen gekauft, der sieht nach

vorne und nicht zurück.

 

INT. STEFANIES WOHNUNG. MATTHIAS ZIMMER – NACHT

Stefanie schaltet das Licht in Matthias Zimmer an. Seine Sachen wurden ordentlich zur Seite gestellt und verpackt. Man sieht, dass Matthias schon lange ausgezogen ist. Stefanie verwendet das Zimmer nun als Nähzimmer und Wäschekammer. Sie tritt an ein Bild heran, das über einer Kommode hängt.

 

STEFANIE

(OFF)

Und er hatte auch wieder diesen

offenen Blick und hat von dem

Jungen erzählt. Von Reza.

 

Auf dem Foto sind Reza und Matthias zu sehen. Sie sind in Afghanistan. Reza hält stolz einen Fußball in der Hand. Matthias hat seinen Arm um seine Schulter gelegt.

Charakterstudien

Auszug Audioaufnahmen der Charakterstudien für den Film Geschichten eines Jungen, einer Frau und eines Soldaten, August 2019 im Rahmen der Open Studios der JUNGEN AKADEMIE. Während der Performance trafen die Darsteller*innen zum ersten Mal aufeinander. Die Dynamik und das konkrete Verhältnis zwischen den Figuren entwickelte sich erst vor den Augen des Publikums, im Gespräch zwischen den Darsteller*innen; die Zuschauer*innen waren dazu aufgefordert, an dem Gespräch mit den fiktiven Figuren teilzunehmen und Fragen zu stellen.

Auszug aus den Arbeitsgesprächen mit den Schauspieler*innen; die Darsteller*innen gehen in ihre Rollen und führen improvisierte Gespräche mit den fiktiven Figuren, konstruieren u. a.  eine gemeinsame Vergangenheit (ohne Publikum). 

Interview

Franziska Pflaum: Danke Florian, dass Du dir Zeit genommen hast. Wir haben uns im August 2019 bei den Open Studios der JUNGEN AKADEMIE kennengelernt. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt an einem Film, den ich im Rahmen meines Stipendiums entwickelt und in den Räumen der Akademie im Hansaviertel realisiert habe. Die Open Studios habe ich genutzt, um einen Arbeitsschritt in Form einer Performance zu präsentieren – somit den Prozess offenzulegen. Im Anschluss sind wird ins Gespräch gekommen. Als Galerist hast Du die Präsentation nicht in der Welt des Kinos, sondern im Kunstkontext verortet. Der Perspektivwechsel war sehr spannend für mich und hat einige Fragen aufgeworfen, die ich in diesem Gespräch gerne mit Dir erörtern würde.

Florian Schönefelder: Ich war an jenem Abend bereits bei zwei anderen Veranstaltungen und dachte mir, ich schau noch bei den Open Studios in der Akademie der Künste vorbei. Ich habe Deine Performance also durch Zufall gesehen, die mir heute, acht Wochen später, immer noch sehr präsent ist. Darin lag eine Frische, die mich sofort angesprochen hat und im Gedächtnis geblieben ist. Aber vielleicht erzählst Du erst mal, wie Du an die Arbeit herangegangen bist, und ich ergänze meine Gedanken dazu.

FP: Im Zentrum der Arbeit steht nicht die Performance, die Du gesehen hast, sondern ein Film mit dem Titel Geschichten eines Jungen, einer Frau und eines Soldaten. Ich bin dabei nicht wie bei einem konventionellen Film vorgegangen und habe zuerst das Drehbuch geschrieben, sondern ich habe mit der Entwicklung und Besetzung der Figuren des Films begonnen. Das bedeutet, ich habe drei Darsteller*innen gebeten, jeweils in die vorgesehene Rolle zu schlüpfen, und wir haben dann gemeinsam die Figuren ausgearbeitet. Während der Performance sind die Darsteller*innen zum ersten Mal aufeinander getroffen. Jede*r wusste, wer er/sie ist und auch lose, in welcher Verbindung er/sie zu den anderen steht. Aber die Dynamik und das konkrete Verhältnis zwischen den Figuren hat sich erst vor den Augen des Publikums, im Gespräch zwischen den Darsteller*innen entwickelt. Gleichzeitig waren die Zuschauer*innen dazu aufgefordert, an dem Gespräch mit den fiktiven Figuren teilzunehmen und Fragen zu stellen.

FS: Ist das die erste Arbeit, in der Du, wie Tino Sehgal sagen würde, mit einer „konstruierten Situation“ arbeitest?

FP: Bislang habe ich bei all meinen Filmen so gearbeitet: Im Vorfeld der Dreharbeiten bitte ich die Schauspieler*innen, in ihre Rollen zu gehen, und führe dann improvisierte Gespräche mit den fiktiven Figuren oder lasse zwei Figuren gemeinsam eine Vergangenheit konstruieren. Aber das geschah bisher immer ohne Publikum, d. h. das Publikum hat immer nur das Endprodukt auf der Leinwand zu sehen bekommen.

FS: Die Geschichte nimmt hier mehr oder weniger ihren freien Lauf. Du stellst die Weichen, briefst die Schauspieler*innen, sodass sie ihre Rollen kennen, gibst dem ganzen dann aber Freiraum. Der Ausgang ist offen.

FP: Genau. Ich habe nur sehr lose Figurenkonstellationen entwickelt. In dem Gespräch mit und zwischen den fiktiven Figuren hat sich dann mehr und mehr die eigentliche Geschichte, die die drei verbindet, herauskristallisiert. Das war sehr spannend für mich.

FS: Um was geht es in diesem Film, welche Inhalte interessieren Dich?

FP: Es geht um Menschen und ihre Versuche mit unserer Realität hier in Europa umzugehen. Gleichzeit sind es fast immer Figuren, die wenig oder nicht gesehen werden – deren Probleme nicht gesehen werden. In diesem Film ist es der Krieg in Afghanistan, der hier in Deutschland drei Schicksale zueinander führt. Der afghanische Junge, der sich in Deutschland zurecht finden muss. Der Soldat, den die Diskrepanz zwischen Deutschem Alltag und Kriegseinsatz zerreißt und der sich letztlich zurück in den Krieg flüchtet. Und seine Mutter, die den Sohn nicht verstehen kann und ihn am Ende ganz verliert. Jedes der Schicksale ist durch einen Krieg, der im deutschen und europäischen Alltag kaum vorkommt, besiegelt.

Ali Reza Ahmadi als Reza
Ali Reza Ahmadi als Reza
Christina Große als Stefanie
Christina Große als Stefanie
Nico Ehrenteit als Matthias
Nico Ehrenteit als Matthias

FS: Tino Sehgal habe ich ja bereits erwähnt. Ich sehe da einige Parallelen zu seiner Arbeit. Er instruiert die Schauspieler*innen, die dann die Zuseher*innen aktivieren. Da geht es unter anderem auch um konkrete Themen, aber bei Dir ist es, würde ich fast sagen, inhaltsgeladener. Du diskutierst familiäre Sujets, politische Hintergründe und aktuelle Themen wie Obdachlosigkeit, Flüchtlinge und Perspektivlosigkeit der Gesellschaft. Gleichzeitig geht es wie bei Sehgal um Activation of Spectatorship. Es wird also nicht nur was geboten, wie im Theater zum Beispiel, sondern die Leute werden aktiviert teilzunehmen. Durch dieses Miteinbezogen-werden rückt die Performance sehr nah an einen heran. Man kann sich nicht hinter der Rolle des Beobachters verstecken, sondern partizipiert an dem Gespräch und kann es so beeinflussen – und darüber hinaus auch die Geschichte beeinflussen, die entsteht. Außerdem beziehst Du, und da sind wir bei Minimal Art, den Raum mit ein. Das heißt, Du arbeitest ortsspezifisch. Die Figurenbiografien sind mit der Akademie der Künste verbunden: Der Junge trifft hier auf einen Obdachlosen und lernt die Hausmeisterin kennen. Die Figuren bewegen sich genau in dem Kosmos, in dem du deine Performance dem Publikum präsentierst.

FP: Ja, das ist natürlich auch dadurch entstanden, das ich den Sommer in den Ateliers der Akademie im Hansaviertel verbracht habe, und die Menschen, die sich in und um das Haus bewegen, beobachten und kennenlernen konnte. Ich finde es unheimlich spannend, die Personen, die eine Institution wie die Akademie am Laufen halten und im Hintergrund arbeiten, sichtbar zu machen.

FS: Faszinierend war auch, dass das Schauspiel bei der Performance so authentisch war, dass die meisten Zuschauer*innen lange davon überzeugt waren, dass es sich um reale Figuren handele, die auf der Bühne von sich erzählen.

FP: Das hat mich auch überrascht. Zumal ich ja immer wieder – zum Beispiel in der Einführung zur Performance – darauf verwiesen habe, dass die Situation konstruiert ist.

FS: Ja, aber so tickt der Mensch nun mal. Man möchte glauben, dass es real ist. Wenn der Soldat, der höchst lebendig vor den Augen aller am Tisch sitzt, plötzlich von seinem Tod berichtet, kommt es natürlich zu einem Bruch. Im Prinzip geht es um eine Verschiebung von Wahrheiten.

FP: Ich spiele mit dem Gedanken, den Film mit einer Texteinblendung zu starten: „Geschichten entstehen immer im Kopf. Egal ob sie real oder erfunden sind. Was zählt ist ihre Wahrhaftigkeit.“ Das ist schon sehr erklärend – vielleicht verzichte ich doch darauf. Aber was mir daran gefällt, ist die Frage nach Wahrheit, die sich hier stellt. Es geht ja in diesem Projekt um Perspektiven, und ein Perspektivwechsel bedeutet immer eine andere Wahrheit beziehungsweise eine Verschiebung der wahrgenommenen Wahrheit. Gleichzeitig verlassen wir aber auch die Ebene der Figuren und fragen ganz allgemein, was eine Geschichte überhaupt ist, wie sie entsteht und zu welchen Bedingungen.

FS: Es sind wirklich viele Stränge, die hier zusammenlaufen. Wir haben also die Frage nach dem Medium an sich, die gesellschaftlichen Themen und dann die philosophische Frage nach Wahrheit. Ich denke, dass sind alles Dinge, die die Menschen berühren, und deswegen glaube ich, dass mir die Performance so im Gedächtnis geblieben ist. Haben das andere Besucher*innen eigentlich auch so wahrgenommen? Wie waren die Reaktionen?

FP: Die Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kino und Kunst. Ich denke, dass die Rezeption erleichtert wird, wenn man sich für diesen Bereich interessiert. Für Menschen, die mit Film und den Arbeitsweisen beim Film gar nichts zu tun haben, ist es vielleicht eher fremd, vielleicht sogar befremdlich, weil sie es schwerer einordnen können.

FS: Einordnen konnte ich es eigentlich auch nicht. Die Gedanken dazu sind erst nachher gekommen. Aber das finde ich nicht schlimm. Es blieb einfach in meinem Kopf haften – das fand ich bemerkenswert.

FP: Danke. Das freut mich natürlich zu hören. Was sind Deine Gedanken dazu, Du als Galerist, wie könnte ich hier weitermachen?

FS: Ich mach Dir einen Vorschlag: Ich stelle morgen dreißig Stühle auf, und Du machst hier eine Performance. (lacht)

FP: Sind wir schon beim Geschäftlichen?

FS: Du hast angefangen. Aber nochmal zurück zur Arbeit. Du siehst dich als Filmemacherin, meintest aber auch, dass Dir die Performance einen Denkanstoß gegeben hat. Inwiefern?

FP: Ich habe die Performance nicht als eigene Arbeit begriffen, das war nicht meine Intention. Sie war als Arbeitsschritt gedacht, um dann letztendlich zu dem Film zu kommen, den ich als eigentliches Werk begreife. Die Idee, das Gespräch mit den Figuren vor Publikum zu führen, ist mir überhaupt erst gekommen, als die JUNGE AKADEMIE mich bat, im Rahmen der Open Studios meine Arbeitsprozesse und Praxis zu präsentieren. Es war ursprünglich also ein Experiment. Jetzt überlege ich, ob ich diese Herangehensweise nicht weiter entwickeln möchte. Es ist unheimlich schön, sich den Raum nehmen zu können, den ich beim Film sonst nicht habe, und den Prozess des Filmemachens in den Fokus zu rücken. Im Alter von Anfang zwanzig habe ich Bildende Kunst an der Akademie der Künste in Wien studiert. Für mich war es nach dem Studium eine Befreiung zum Film zu gehen, da mir die Kunst viel zu oft beliebig und behauptet schien – der Zwang, einen Freiraum füllen zu müssen, hat mich persönlich überfordert. Der Film der entsteht, um eine Geschichte, eine Betrachtung der Welt zu transportieren, hat mir einen Rahmen gegeben. Aber vielleicht ist es jetzt Zeit, den Rahmen auch wieder zu verlassen, wenigstens mit manchen Arbeiten.

Arbeitsgespräch zur Figurenkonstellation vor und mit Publikum, Open Studios August 2020, Akademie der Künste, Berlin
Arbeitsgespräch zur Figurenkonstellation vor und mit Publikum, Open Studios August 2020, Akademie der Künste, Berlin

FS: Ja, Du verlässt den Rahmen, indem Du fragst, was ist Film und wie entstehen Geschichten. Das Publikum sieht zu, wie ein mögliches Endprodukt entsteht. Gleichzeitig wird es durch die Interaktion Teil davon. Ob es dann letztlich zu einem Endprodukt führt, spielt in dem Moment keine Rolle, es geht um den Prozess an sich. Insofern finde ich es sehr spannend, an den Performances – oder man könnte auch sagen Happenings – dran zu bleiben. Marcel Duchamp spricht davon, dass die Kunst der Zukunft, eine Kunst der Situation sein wird.

FP: Ich habe lange überlegt, wie ich die Präsentation meiner Arbeit bezeichnen soll: Für mich ist es ein improvisiertes Gespräch mit Schauspieler*innen, in ihren fiktiven Rollen, unter Einbeziehung des Publikums. Einfachheitshalber nenne ich es hier Performance, aber vielleicht ist es einfach eine Kunst der Situation.

FS: Wie geht es mit dem Film weiter? Was hast du vor?

FP: Entstehen wird ein 20 Minuten langer Fotofilm. Das heißt, der Film besteht nicht aus 24 beziehungsweise 25 Bildern pro Sekunde, die eine fließende Bewegung erzeugen, sondern aus einzelnen Fotos. Die können schnell aufeinanderfolgen oder aber auch mehrere Sekunden stehen bleiben. Im Ton hören wir Gespräche und Atmosphären, wie wir es vom konventionellen Film gewohnt sind. Zwischen zwei Fotografien entsteht eine Lücke, eine Leerstelle. Um die geht es mir. Sie hält die Zuschauer*innen dazu an, die fehlende Information zwischen zwei Fotos mit seiner eigenen Imagination zu füllen.

Ich habe die Gespräche, die vor Publikum entstanden sind, aufgenommen und transkribiert. Daraus ist jetzt ein Drehbuch entstanden. Das besondere an der Drehbucharbeit war, dass ich keine Dialoge und Situationen erfunden habe, sondern den Text aus dem improvisierten Gespräch zwischen den Figuren übernehmen konnte. Es ist also eine Collage aus bereits erarbeitetem Material.

FS: Das finde ich spannend. Das Buch ist einerseits retrograde entstanden, andererseits arbeitest du mit  einer patchwork-mäßigen Neuanordnung.

FP: Ja, das ist definitiv eine Richtung, in die ich weiter gehen möchte. Nicht immer nur aus sich selbst schöpfen zu müssen, sondern die gemeinsame Arbeit an den Anfang zu stellen und mit dem entstandenen Material weiter arbeiten zu dürfen. Das Angebot ist ja eigentlich da. Wenn man die Figuren mit den Schauspieler*innen erarbeitet, haben sie auch viel zu erzählen. Es entstehen Geschichten und Situationen, die man sich als Autor*in gar nicht ausdenken kann. Meistens ist bei Spielfilmen der Raum dafür nicht gegeben, aber dann muss ich eben darum kämpfen, mir diesen Raum trotzdem zu nehmen. Das möchte ich auf jeden Fall forcieren.

FS: Ganz allgemein, welche Themen interessieren Dich? Nicht nur bei diesem Projekt. An welchen Projekten arbeitetest Du?

FP: Ich arbeite gerade an meinem ersten Langspielfilm. Ganz klassisch, eine Komödie fürs Kino. Trotzdem denke ich, dass ich durch mein Studium der Bildenden Kunst, ein verhältnismäßig großes Interesse entwickelt habe, mit Konventionen zu brechen. Das beginnt damit, dass ich nicht nur die Geschichte, sondern auch die Kameraeinstellung, den Blick des Publikums auf die Protagonist*innen politisch begreife. Ich sage jetzt nicht, dass meine Filme super komplex sind, aber ich habe den Anspruch, dass sie auch auf einer formalen Ebene gedacht werden können.

In der Komödie geht es um fünf Personen, die zu wenig Geld haben, um ihr Leben so gestalten zu können, wie sie es möchten. Sie sind alle von Armut bedroht oder betroffen. Mit den skurrilsten Mitteln versuchen sie, ihre Situation zu verbessern. Dann gibt es noch die Idee, einen Film über eine rumänische 24-Stunden-Pflegerin zu machen und so weiter und so weiter. Es sind sehr viele Projekte.

FS: Dann wünsche ich Dir viel Glück bei all Deinen Vorhaben.

FP: Danke für das Gespräch.

Florian Schönfelder studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Volkswirtschaftslehre, sammelte Erfahrung bei Marian Goodman in New York und war lange als Unternehmensberater tätig. 2019 eröffnet er in den ehemaligen Räumen der Galerie Arndt auf der Fasanenstraße 28 seine Galerie. Die vertretenen Positionen erstrecken sich von jungen, vor allem in Berlin lebenden Künstler*innen, bis hin zu arrivierten internationalen Namen wie Sarah Alexander, William Cordova, Jacqueline Diffring, Marta Djourina, Alizée Gazeau, Lucia Kempkes, Guillem Nadal, Timo Nasseri und Manuel Stehli.

Ali Reza Ahmadi

Franziska Pflaum über ihre Zusammenarbeit mit Ali Reza Ahmadi

Ali und ich haben uns bei einem Projekt des magda  Caritas Jugendzentrums in Lichtenberg kennengelernt. Ich habe dort mit Jugendlichen an dem Kurzfilm Im Universum geht keiner verloren gearbeitet. Das war im Sommer 2017. Jugendliche aus der Nachbarschaft hatten die Möglichkeit, freiwillig unter meiner Regie an diesem Film mitzuwirken. Ali war damals elf Jahre alt und lebte mit seiner Familie in der benachbarten Geflüchteten-Unterkunft.

Im Universum geht keiner verloren, 2020, Trailer,

Ali war sofort am Start: Er wollte nicht nur als Schauspieler mitwirken, sondern auch eigene Texte in den Film miteinbringen, die er als Rapper vortragen wollte. Sein Engagement hat mich beeindruckt, aber nicht nur das. Seine Texte hatten Tiefgang. Ali hat schon damals versucht, seine Erfahrungen in einem künstlerischen Kontext zu verarbeiten, und wie gesagt, da war er gerade mal elf. Ich war dankbar, dass er mich an seinen Erfahrungen teilhaben ließ. Ein Text, der ihm sehr am Herzen liegt, ist damals nicht in den Film gekommen, weil er zu persönlich war, und nicht zur geplanten Szene passte – aber Ali hat mir erlaubt ihn hier zu veröffentlichen.

 

Seit einem Jahr lebe ich in Deutschland,

ich gehe auf der Straße – sage, was für ein Land.

Bei uns war damals alles anders.

Das, was wir erlebt haben, wer kann das?

 

Ich musste alles hinter mir lassen,

ich kann es immer noch nicht fassen.

Meine Freunde und Landsleute alle weg.

Ich habe das Gefühl, ich lebe im Dreck.

 

Es ist noch nicht lange her, jetzt bin ich hier,

doch ich vermisse meine Heimat so sehr.

Zurück in den Krieg, das geht nicht mehr,

bisschen Frieden muss wieder her.

 

Ich habe gelernt mit Angst zu leben.

Wenn alles anders wäre, würde ich zurück gehen.

Doch ich muss an meine Zukunft denken,

deshalb muss ich hier weiterleben.

 

Das ist meine Geschichte, die ich euch berichte.

Stoppt den Krieg, keiner gelangt zum Sieg.

Es ist nur euer Ziel.

Wir wollen Frieden, für die Hinterbliebenen.

Kein Mensch ist illegal, doch das ist euch egal.

Wir sind Menschen, egal schwarz oder weiß.

Egal ob Ausländer oder mit deutschem Pass,

ihr schaut zu und denkt, alles ist Spaß.

 

Ich bin ein Ausländer, weil ich die Sprache nicht kann.

Ich sehe täglich neue Gesichter und eine fremde Kultur,

mein Leben läuft wie eine Wanduhr.

Ich sehe viele Menschen, die sind alle stur.

 

Wir haben uns gefreut, für ein bisschen Brot.

Es war nicht leicht, diesen Weg zu gehen,

ihr solltet alles mit meinen Augen sehen.

 

Mein Vater, der immer für mich da war,

doch keiner weiß, ich vermisse ihn so sehr.

Die schönen Tage, die wir gemeinsam hatten,

ich wünschte, er könnte mich wieder im Arm halten.

 

Der Krieg hat vielen sehr leid getan,

trotzdem sagen viele, verschwinde in dein Land.

Doch den Menschen ist dies nicht bekannt,

ich liebe Deutschland und mein Land Afghanistan.

 

Ich habe 2019 das Berlin-Stipendium der JUNGEN AKADEMIE in der Sektion Film- und Medienkunst erhalten. Zuvor versuchte ich bereits für einen langen Zeitraum, Förderungen für einen ersten Kinofilm zu bekommen und arbeitete als Drehbuchautorin. Nach der jahrelangen Schreibtischarbeit sehnte ich mich danach, zu drehen und endlich wieder Regie zu führen. Ich beschloss, dass Stipendium zu nutzen, um ein neues Kurzfilmprojekt umzusetzen: Seit Langem schon hatte ich die Idee, einen Fotofilm zu realisieren, da mich dieses Format faszinierte. Ich fragte Ali, ob wir nicht gemeinsam Material erarbeiten wollten. Es sollte ein Film über ihn werden. Ali schlug vor, nicht seine persönliche Geschichte zu verfilmen, sondern eine Figur zu entwickeln, die ihm ähnlich war. So arbeiteten wir uns voran: improvisierten und überlegten. Ich schlug ihm vor, die fiktive Figur – einen Jungen in seinem Alter, den wir erfunden hatten, auf die Hausmeisterin der Akademie der Künste treffen zu lassen. Später kam dann noch die Figur des Soldaten hinzu; er ist der Sohn der Hausmeisterin. Die Geschichte verdichtete sich allmählich.

Immer wieder trafen wir uns in meinem Atelier in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, das ich im Rahmen des Stipendiums nutzen durfte. Es war ein aufregender und schöner Sommer, den ich mit Ali verbrachte und am Ende hatten wir die Grundpfeiler für den Fotofilm erarbeitet. Alis Interesse an unserer künstlerischen Zusammenarbeit beeindruckt mich – Ali beeindruckt mich, sein Durchhaltevermögen beeindruckte mich. Kurz vor dem Dreh stand ein Gerichtstermin an: Es sollte entschieden werden, ob Alis Familie in Deutschland bleiben darf. Da die Verhandlung seine Mutter und den Stiefvater schwer belastete, war es am Ende Ali, der alleine im Gerichtssaal saß, und dessen Aussagen über die Erlaubnis zu Bleiben, der gesamten Familie entschieden. Es ist traurig, dass ein Junge in diesem Alter so viel Verantwortung übernehmen muss und gleichzeitig ist es enorm, wie Ali diese Situation gemeistert hat. Und ja: Ali und seine Familie haben nach drei Jahren erfahren, dass sie bis auf Weiteres nicht abgeschoben werden dürfen. Drei Jahre, in denen Ali jeden Tag Angst davor hatte, den Briefkasten zu öffnen.

Wenn wieder mal eine Absage der Filmförderung rein flattert oder es privat schief läuft, wenn ich Rückschläge und Verluste einstecken muss … dann denke ich oft an Ali und versuche, seinen Mut und seine Lebensfreude als Vorbild zu nehmen.

Gerade arbeitet er an einem eigenen Drehbuch. Ich bin gespannt.

Cast & Crew

Cast

Reza: Ali Reza Ahmadi

Stefanie: Christina Große

Matthias: Nico Ehrenteit

Regisseurin: Nathalie Seiß

Obdachloser: Mex Schlüpfer

 

Crew

Konzept: Ali Reza Ahmadi, Franziska Pflaum; Buch & Regie: Franziska Pflaum; DoP: Niki Waltl; Montage: Friederike Hohmuth; Sounddesign: Christoph Kozik; Filmmusik: Jachym Kovar; Oberbeleuchter: Gregor Cunningham; Best Girl: Antonia Lange; Lichtassistenz: Leon Vonderau; Tonmeister: Oscar Stiebitz; Tonassistenz: Conny Lewandowsky; Szenografie: Rafael Loß; Szenenbildassistenz: Julia Müller; Kostümbild: Johanna Pflaum; Maskenbild: Nuria de Lario; Aufnahmeleitung: Balthasar Busmann; Set-Runner: Catherine Periscal Julien, Noah Göllner; Farbkorrektur: Perdu Film; VFX: Michael Gülzow; Titeldedsign: Weltraumgrafik; Koordination AdK: Miriam Papastefanou, Luise Pilz; Produktion: Maximilian Haslberger, Balthasar Busmann

Eine Amerikafilm, JUNGE AKADEMIE der Akademie der Künste, Berlin und Franziska Pflaum Produktion.

*1987, lebt in Wien und Berlin

Franziska Pflaum studierte Bildende Kunst an der Akademie der Künste Wien und Filmregie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, Potsdam-Babelsberg. Sie realisierte mehrere dokumentarische und fiktive Kurzfilme, die weltweit auf Filmfestivals zu sehen waren. 2014 erhielt sie den Deutschen Kurzfilmpreis und 2016 den Carl Mayer Förderpreis. Pflaum erhielt ein Promotionsstipendium der Konrad Adenauer Stiftung, das Start Stipendium des Österreichischen Bundeskanzleramts und das Berlin Stipendium der Akademie der Künste, Berlin. 2020 soll ihr erster Kinofilm Meerjungfrauen weinen nicht realisiert werden. Im Auftrag arbeitet sie für den Österreichischen Rundfunk an zwei Tatorten und einer Serie als Drehbuchautorin.

Berlin-Stipendium

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